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Von Otto Reiter.

„Auf Wiedersehen in der Hölle, Freunde!“

Serbisches und kroatisches Kino

Streiflichter auf kinematografische Überlebenszeichen in Serbien und Kroatien.



Es war einmal ein Land: Jugoslawien. An das sich plötzlich niemand mehr erinnern wollte. Von professionellen Polit-Kriminellen in Brand gesetzt und von zu vielen Vernünftigen im Stich gelassen. Klingt wie der Beginn eines Märchens und ist doch nichts anderes als die größte europäische Tragödie nach dem Zweiten Weltkrieg.

Hinweg mit den Mythen vom wilden Balkan, den universitären und populistischen Theorien ewiger Völker-Feindschaft, den traditionellen Schuldzuweisungen an CIA, die jüdische Geldmafia und den Vatikan, die seit Jahrzehnten in der jugoslawischen Propagandamaschinerie dominieren.

Politbürokraten wie Milošević, nationalistische Dissidenten wie der Kroate Tudjman und der Bosnier Izetbegović nutzten die Gunst der Stunde eines politischen Vakuums zur Feier ihrer persönlichen Eitelkeit und Machtgier. Hunderttausende Kinder, Frauen und Männer mussten sterben für sie. Für nichts. Dieses Nichts, das ist das zutiefst Erschreckende, warum alle ex-jugoslawischen Filmemacher derzeit ein bisschen wie hilflose Mäuse vor der Schlange „Nichts“ verharren anstatt zu revoltieren und mit schockierenden, analytischen Gegenbildern zu reagieren.

Serbien: Teenie-Klamauk und brutalster Horror in vollen Kinos
Ende der neunziger Jahre kehrte der legendäre serbische Filmprovokateur der sechziger Jahre Dušan Makavejev („Man Is Not a Bird“, 1965, „Sweet Movie“, 1974) aus seinem unfreiwilligen dreißigjährigen Pariser Exil nach Belgrad heim. Er wurde bestaunt wie ein exotisches Tier aus einer anderen Welt, letztlich jedoch ignoriert. Trotz überfließender, leidenschaftlicher, wunderbarer Ideen musste der Heimkehrer Makavejev als 70-jähriger erkennen: Dieser Traum der Anarchie war einmal. Heimflug nach Paris ins endgültige Exil, unverstanden und bitter enttäuscht. Ein Verlust für die serbische Filmszene, der wohl erst in einigen Jahren als ein solcher erkannt werden dürfte. Derweil toben sich junge Regisseure mit Eskapismusfilmen zwischen Teenie-Klamauk und brutalem Horror aus und werden in vollen Kinos bejubelt.

Noch während des Krieges scheiterte der exzellente Regisseur Boro Drašković („Život je lep“ – „Das Leben ist schön“,1986) an dem Ort, an dem 1991 das sinnlose Töten begann („Vukovar“, 1994). In den Ruinen der Stadt Vukovar erzählt er die tragische Liebesgeschichte einer jungen Kroatin und eines jungen Serben. Aber: ohne kritischen Hintergrund. Kein Wort fällt über die politisch-mediale Organisation des Terrors. Das ganze Werk gerät unfreiwillig beschönigend: Krieg sei Laune der Natur, Schlechtwetterfront. Kann vorkommen. Bestürzend ahnungs- und hilflos in Anbetracht der für alle seh-, hör- und spürbaren real-politischen Propaganda und Kriegshetzen rundherum.

Auch in den anderen wenigen Filmen, die den Krieg zu thematisieren wagten, wie „Why Have You Left Me“ (1993, Regie: Oleg Novković) oder „Pretty Villages, Pretty Flames“ (1996, Regie: Srdjan Dragojević), herrscht verwandtes Schweigen, übertönt von melancholischen Melodien oder folkloristischem Macho-Gehabe. Ersterer Film war natürlich kein Erfolg, der andere leider doch.

Verblüffend für Außenstehende mag sein, dass das serbische Filmschaffen trotz des polit-ökonomischen Desasters und des internationalen Embargos in den neunziger Jahren auflebte wie in keinem anderen ex-jugoslawischen Land. Und dies ohne die Unterstützung von TV-Anstalten oder des Kulturministeriums.

Berühmte Schauspieler wie Ljubisa Samardzić oder Dragan Bjelogrlić entwickelten sich auf einmal nicht nur zu Produzenten, sondern auch zu Regisseuren. Andere wie Goran Marković, der seit den siebziger Jahren vielfach ausgezeichnete Filme drehte, fanden sich im inneren Exil wieder: „Obwohl ich nicht emigrieren wollte, nur weil eine Bande von Verbrechern an der Macht war.“ So realisierte er in elf Jahren nur einen einzigen Spielfilm mit dem bezeichnenden Titel „Burleske Tragödie“ (1995), finanziert mit französischem Geld und mit serbischen Schauspielern, in Bulgarien gedreht. Voll Bitterkeit sein Rückblick: „Nicht wenige Freunde und Kollegen spielten das Spiel des kriminellen Milošević-Regimes mit, sei es aus „patriotischer“ Überzeugung oder aus purem Karrierismus. Ich habe als Professor an der Kunstakademie vier Euro im Monat verdient, andere hatten plötzlich Zigtausende, um Filme zu drehen, mit schmutzigem Geld aus blutigen Händen.“

Aber der Unbeugsamste von allen hatte schon früher zu wenig Geld, dafür genügend kritische Ideen: Želimir Žilnik aus Nordserbien, Novi Sad, Vojvodina. Für seinen Debütfilm „Frühe Werke“ (1969) wurde er mit dem Hauptpreis der Berlinale 1969 ausgezeichnet. In seiner Heimat erhielt er dafür praktisch Berufsverbot. Er hat sich nicht behindern lassen. Bis heute nicht. So dreht er auf billigem Videomaterial unablässig Spielfilme, Dokumentationen und manchmal eine Mischung aus beiden. Vor zwei Jahren widmete ihm die Grazer „Diagonale“ eine vielbeachtete Hommage. Auch seinen provokanten Humor hat er nicht verloren. So ließ er in „Tito wieder unter den Serben“ (1994) den Marschall in seiner besten Armeeuniform 14 Jahre nach seinem Tode aus seinem Grabe wieder auferstehen und durch die Straßen der Innenstadt von Belgrad schlendern, begierig, sich mit „seinem“ Volk zu unterhalten. Tito, pendelnd zwischen Attacken von Wut, Begeisterung und Trauer. Ein Film, der zum Spiegelbild serbischer Deviationen wird.

Makavejev lebt zurückgezogen in Paris, aber Žilnik kämpft weiter: „Ich dachte, Humor und Phantasie begleiten den jugoslawischen Weg zum Sozialismus. Ich muss zugeben, dass ich ziemlich blind war gegenüber dem Ausmaß der zornigen und wütenden Reaktionen, die meine Filme letztlich provoziert haben. Ich weiß“, meint Žilnik weiter, „andauerndes Glück gibt es nur auf dem Friedhof, aber genau diese mitleidlosen Menschen, die damals an der Macht waren, haben heute wieder ‚Töchter und Brüder im Geiste‘ gefunden. Alle spielen sie die gleiche alte Melodie, mit neueren Instrumenten vielleicht. Für mich hat sich wenig und doch alles zum Schrecklichsten verändert.“

Kroatien: Realitätsflucht statt Konfrontation
Ganz im Gegensatz zu Serbien war das kroatische Kino nie ein rebellisches oder eigenwilliges. Eine legendäre „schwarze Welle“ der sechziger Jahre wie in Serbien wäre in Zagreb vollkommen undenkbar gewesen. Aushängeschild war jahrzehntelang die erfolgreiche Produktionsfirma Jadran Film, die mittlerweile am Rande des Bankrotts steht. Viele lukrative internationale Koproduktionen (Karl-May- oder Partisanenfilme, vor allem „Sutjeska“, 1972, mit Richard Burton als Tito und Orson Welles in einer Nebenrolle) dienten ebenso der Tourismusförderung wie der ideologischen Staatsdoktrin. Diese Zeiten sind längst Vergangenheit. Im Verhältnis zu anderen Billiglohnländern sind die Produktionskosten in Kroatien künstlich hoch geschraubt, doch gibt es auch politische Hindernisse. So drehte Steven Spielberg „Schindlers Liste“ nicht wie geplant in Kroatien, sondern in der Slowakei und in Polen, weil sich die kroatische Regierung sehr schwer tat, mit dem Jugoslawien-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zusammenzuarbeiten.

Weiters spielt das Kroatische Fernsehen (HRT), wichtigstes Propagandainstrument Tudjmans und seiner radikal-nationalistischen Partei HDZ, noch immer eine enorm wichtige Rolle in Bezug auf das halbe Dutzend Kinofilme, die jährlich gedreht werden.

So beschränkt sich das kroatische Kinofilmschaffen auf auf Kinolänge reduzierte TV-Serien, bei denen Theaterschauspieler mitwirken. Sie frönen der Tito- und Jugoslawien-Nostalgie wie Branko Schmidts „Queen of the Night“ (2001). Oder sie sind einfachst gestrickte, religiöse Propagandafilme wie Jakov Sedlars „Madonna“ (1995). Das heimische Publikum goutiert solche Filme nicht. Immer mehr Kinos müssen zusperren. Gerade noch dreißig gibt es derzeit im Durchschnitt pro Million Einwohner.

Der größte Hit der vergangenen Jahre war Vinko Brešans Kriegs-Klamaukiade „How the War Started on My Island“ (1996). Der Film erreichte immerhin 300.000 Zuschauer. Nur übertroffen vom internationalen US-Blockbuster „Titanic“.

Aber das hat ihn leider nicht mutiger gemacht. Sein jüngster Film „Svjedoci“ („Die Zeugen“, 2003), gezeigt auf der Biennale 2004, thematisiert zwar ein kroatisches Tabu – die Ermordung einer serbischen Familie – aber im Stil eines besseren TV-Krimis, ohne politischen Stachel, ohne dringend notwendige Bilder der Hintergründe.

Jahrzehntelang trafen sich alljährlich die jugoslawischen Filmschaffenden zum nationalen Filmfestival im kroatischen Pula. Nach Kriegsbeginn wurde es ein rein kroatisches Filmfestival, mittlerweile werden sogar serbische und andere europäische Filme gezeigt. Ein viel versprechender Schritt zurück nach vorn.

Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,Oktober 2004



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